Eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft ist der Kampf gegen Übergewicht und den damit einhergehenden Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dies fängt bereits früh an, denn Übergewicht in der Kindheit überträgt sich aller Wahrscheinlichkeit nach ins Erwachsenenalter und hat damit einen direkten Einfluss auf Krankheitsentwicklung und Lebenserwartung[1; 2; 3]. Tatsächlich konnte bereits eine Vielzahl von Studien einen Zusammenhang zwischen erhöhter Gewichtszunahme im Säuglingsalter und Übergewicht in späterer Kindheit nachweisen[4; 5; 6; 7].
Aus diesem Grund sollte schon während der Schwangerschaft und von Geburt an ein Augenmerk darauf gerichtet werden, eine übermäßige Gewichtszunahme zu verhindern. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt, dass Stillen, im Vergleich zu Flaschenernährung, mit einer niedrigeren Gewichtszunahme im ersten Lebensjahr[8; 9; 10] und einem niedrigeren Risiko für Fettsucht[10; 11; 12; 13] assoziiert ist.
Rolle einer niedrigen Eiweißzufuhr
Industriell hergestellte Säuglingsnahrungen haben einen höheren Eiweißgehalt als Muttermilch. Die aktuelle Gesetzgebung erlaubt einen Eiweißgehalt in Säuglingsnahrungen von 1,8 bis 3,0 bzw. 3,5g/100kcal[14]. Da der Unterschied zwischen Muttermilch und Säuglingsnahrungen bis vor kurzem noch sehr hoch war, entwickelten Forscher die „Early Protein Hypothesis“ [15; 16], die Hypothese der frühen Eiweißzufuhr.
Sie fanden, dass kurzfristige Unterschiede in der Eiweißzufuhr keine Effekte auf die Gewichtsentwicklung bewirken[17; 18; 19; 20]. Dagegen führte eine niedrige Eiweißzufuhr von 1,8g/100kcal im gesamten ersten Lebensjahr zu einem niedrigeren Gewichtsstatus der Kinder im Alter von sechs Monaten sowie ein und zwei Jahren, im Vergleich zu einer deutlich höheren Eiweißzufuhr von 2,9g/100kcal[21] (s. Abb. 1). Diese Entwicklung setzte sich auch in der Folgeuntersuchung nach sechs Jahren fort[22].
Weitere Studien sind aber nötig, um den Effekt einer niedrigen Eiweißzufuhr auf die Gesundheit eines Säuglings zu erforschen und um tatsächlich eine Gewichtsentwicklung wie nach Muttermilchernährung zu erreichen[23; 24]. Nichtsdestotrotz gilt heute eine klare Präferenz für Säuglingsnahrungen mit einem niedrigen Eiweißgehalt, aber hoher Qualität ihrer Aminosäurenzusammensetzung[25].
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Wie beeinflusst Stillen das Risiko für Übergewicht?
Eine Reihe von Studien weist darauf hin, dass Stillen im Vergleich zur Ernährung mit Muttermilchersatzprodukten das Übergewichtsrisiko und insbesondere auch das Risiko von Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 25 bis 40 Prozent vermindern kann. So zeigte eine Metaanalyse aus 23 Studien, dass Stillen im Vergleich zu Nichtstillen im Mittel zu einer 25 prozentigen Reduktion des Risikos führt, im späteren Kindes- oder Erwachsenenalter Übergewicht zu entwickeln[27] (s. Abb. 2).
Eine weitere Metaanalyse konnte zeigen, dass insbesondere die Stilldauer einen starken Einfluss auf das Risiko späteren Übergewichts hat [28]. Stillen führt hiernach, bis zu einer Stilldauer von neun Monaten, zu einer Senkung des Übergewichtsrisikos im späteren Leben. Jeder Monat des Stillens reduziert das Risiko des Kindes um vier Prozent, später Übergewicht zu entwickeln. Ab circa sieben bis neun Monaten wird ein Plateau erreicht (s. Abb. 3).
Beugt Stillen Folgeerkrankungen von Übergewicht vor?
In Anbetracht der zentralen Rolle von Übergewicht bei der Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskulären Erkrankungen wäre zu erwarten, dass Stillen auch präventiv hinsichtlich dieser Krankheiten wirkt. Tatsächlich zeigen mehrere systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen, dass sowohl das Risiko für Typ-2-Diabetes als auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gemessen anhand der Indikatoren Blutdruck und Cholesterolkonzentrationen, durch Stillen positiv beeinflusst werden[29; 30; 31]. Tierexperimentelle Studien weisen darauf hin, dass für diese Veränderungen eine neonatal induzierte „Fehlprogrammierung“ der hypothalamischen Regulation von Nahrungsaufnahme, Körpergewicht und Stoffwechsel entscheidend sein dürfte[32; 33; 34].
Rolle der Fettzusammensetzung der Muttermilch
Muttermilchfett ist die Hauptenergiequelle für gestillte Säuglinge und versorgt sie darüber hinaus mit essentiellen Nährstoffen wie fettlöslichen Vitaminen und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die Fettzusammensetzung der Muttermilch kann allerdings stark variieren, unter anderem je nach mütterlicher Ernährung und Stillphase[35].
Die Ausreifung in reife Fettzellen wird direkt durch die Fettsäurezusammensetzung der Ernährung beeinflusst. In vitro-Untersuchungen zeigen, dass mehrfach ungesättigte n-6 Fettsäuren diese Reifung stimulieren, dagegen mehrfach ungesättigte n-3 Fettsäuren diesen Prozess verhindern und darüber hinaus die Fettverbrennung verstärken und das Absterben von Fettzellen begünstigen[36]. Das niedrige Verhältnis von mehrfach ungesättigten n-3 zu n-6 Fettsäuren unserer aktuellen Ernährung könnte daher zu der stark verbreiteten Zunahme des Übergewichts beitragen[37]. Ob diese Zusammenhänge sich im Sinne einer frühkindlichen Prägung durch langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren (LCP) bestätigen, muss durch weitere Studien erforscht werden.
Broschüre – Wachstumskurven in Perzentilen bei Jungen 0–2 Jahre
Broschüre – Wachstumskurven in Perzentilen bei Mädchen 0–2 Jahre
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