Epigenetik: Ernährung beeinflusst Genexpression und Gesundheit eines Kindes

Die meisten Zellen des Körpers enthalten die gleichen Gene, die Genexpression variiert dagegen in hohem Maße zwischen den einzelnen Geweben. Gene besitzen eine Vielzahl von epi-genetischen (epi = zusätzlich) Markern, die bestimmen, wie ihre DNA gelesen wird. Diese Marker sind für die Ausrichtung und Beibehaltung der Zelltyp-spezifischen Genexpression zuständig und bestimmen damit, welche Art von Zellen sich entwickeln, welche Gene exprimiert und welche Stoffwechselprodukte produziert werden.

Die frühe Entwicklung des Körpers und seiner Organe beginnt mit der fötalen Genexpression der zu formenden Organe. Frühe Veränderungen dieser Genexpression, beispielsweise durch „Störungen“ wie Fehlernährung, Mangel oder Überfluss an bestimmten Nährstoffen, kann zu permanenten strukturellen Veränderungen der Gewebe und Organe im Körper führen[1]. Der Grad der Veränderung hängt von der klinischen Relevanz der Störungen, ihrem Zeitpunkt sowie ihrer Dauer ab[2; 3].

Zu den Mechanismen, wie Körpergewebe oder Organe bereits frühkindlich durch Umweltfaktoren in ihrer Entwicklung beeinflusst werden können, gehören[4]:

  • Epigenetische Mechanismen (Veränderungen in der DNA-Methylierung oder der Modifikation der DNA-bindenden Histone; s. Abb. 1)
  • Beeinflussung der Organstruktur (durch Gefäßneubildung und -versorgung, Zellposition bei Organentstehung)
  • Veränderungen der Zellen (Organ- und Gewebsvergrößerungen durch Zellanzahl [Hyperplasie] oder Zellvergrößerung [Hypertrophie])
  • Klonale Selektion (unverhältnismäßiges Wachstum von Zellen unter spezifischen Stoffwechselbedingungen)
  • Metabolische Differenzierung (Auftreten mehrerer Chromosomensätze [Polyploidisierung], verbunden mit erhöhter Stoffwechselaktivität)

 

Abbildung 1: Epigenetische Mechanismen: Die funktionelle Festlegung von Zellen erfolgt durch verschiedene Mechanismen, unter anderem durch biochemische Modifikationen einzelner Basen der DNA-Sequenz oder der die DNA verpackenden Histone (oder beides). Solche Veränderungen, zu denen die DNA-Methylierung und die Histon-Modifikation gehören, führen dazu, dass bestimmte Bereiche des Erbgutes „ruhiggestellt“, andere dafür leichter transkribiert (in RNA für Eiweiße umgeschrieben) werden können (Quelle: Nutricia Research).

Epigenetik: Ernährung in Schwangerschaft wirkt sich auf körperliche Entwicklung des Kindes aus

In neueren Untersuchungen konnten erste epigenetische Zusammenhänge zwischen der Ernährung in der Schwangerschaft und der körperlichen Entwicklung im späteren Alter festgestellt werden.

Godfrey und Mitarbeiter zeigten, dass die spezifische epigenetische Promoter-Methylierung mit Adipositas im späteren Kindesalter assoziiert war. Die identifizierten spezifischen Marker zeigten eine Verbindung zu der mütterlichen Kohlenhydrataufnahme während der frühen Phase ihrer Schwangerschaft, was bereits mit einer vermehrten Adipositashäufigkeit zur Geburt assoziiert wurde[5].

Ebenso scheinen Veränderungen im mütterlichen Mikronährstoffstatus beim Kind bemerkenswerte Langzeiteffekte mit epigenetischem Hintergrund zu zeigen. Daten der Pune Maternal Nutrition Study zeigen, dass ein niedriger mütterlicher Vitamin B12-Status, hohe Homocystein-Werte sowie ein kombinierter Vitamin B12- und Folsäuremangel eine hohe Insulinresistenz bei den Nachkommen mit sechs Jahren vorhersagen[6].

Experimentelle Studien mit Schafen konnten eindeutige Effekte einer niedrigen Vitamin B12-, Folsäure- und Methionin-Versorgung in der Zeit vor der Konzeption bis nach der Geburt auf den Methylierungsstatus mehrerer epigenetischer Marker während der frühen Embryonalphase nachweisen. Diese gingen sowohl mit Veränderungen des Körpergewichts und Fettbildung im Erwachsenenalter als auch mit Veränderungen der Insulinempfindlichkeit, Blutdruck und Immunstatus einher[7].

Studien mit eineiigen Zwillingen geben klare Hinweise darauf, dass diese epigenetische Prägung noch nach der Geburt auftreten kann, obwohl das Ausmaß des Effekts mit der Zeit weniger werden kann[1; 8].

Die Entwicklung des Kindes scheint sogar durch mütterliche Faktoren beeinflussbar zu sein, wenn sie vor der Konzeption auftraten. Studien in Gambia zeigten, dass sowohl die Sterblichkeitsrate im Erwachsenenalter als auch die Anfälligkeit für schwere Infektionen im Kindesalter mit der Jahreszeit bei der Geburt zusammenhängen[9; 10]. In dieser Studie hatte die Ernährung der Mutter vor dem Zeitpunkt der Konzeption einen Einfluss auf die spezifische epigenetische Ausprägung[11]. Aber ebenso kann die väterliche Linie über Generationen die epigenetische Prägung beeinflussen[12].

Epigenetische Prägung kann also zu Veränderungen der Genexpression und in Folge dessen zu strukturellen Veränderungen der Körpergewebe und -organe führen; beide Mechanismen werden heute als integrale Grundlagen der frühkindlichen Prägung angesehen[13; 14; 15; 16].

Epigenetik: Ernährung als Modulator der Gesundheit im späteren Leben

Daraus ergibt sich, dass die genetische Veranlagung nur einen Teil des Risikos erklärt, ob wir im Laufe des Lebens bestimmte Krankheiten erleiden oder nicht. So kann auch der Anstieg der Volkskrankheiten – auch nicht-übertragbare Krankheiten (engl. non-communicable diseases; NCDs) genannt – wie Übergewicht, Diabetes Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, in den letzten Jahrzehnten nicht allein durch „Vererbung“ oder Lebensstilfaktoren erklärt werden.

Zwar sind unsere Gene bereits zum Zeitpunkt der Konzeption festgelegt, unsere individuelle Entwicklung wird aber wesentlich von Umweltfaktoren früh im Leben beeinflusst (Abb. 2). Dies gilt, auch wenn mittlerweile bestimmte Genregionen identifiziert worden sind, die im Zusammenhang mit Volkskrankheiten stehen.

Beispielsweise wurden bei Menschen aus dem asiatisch-chinesischem Raum mehr als 40 Genregionen für Diabetes Typ 2 identifiziert, die einen klaren Zusammenhang mit dieser Krankheit zeigen[17; 18; 19; 20; 21; 22]. Trotzdem werden diesen Genregionen nicht mehr als zehn bis zwölf Prozent zugeschrieben, die Krankheit zu verursachen. Weiterhin kennt man mittlerweile mehr als 50 Body-Mass-Index (BMI)-assoziierte Genregionen[23], doch erklären diese nur etwa ein bis zwei Prozent der Veränderung eines normalen BMI[24; 25].

Selbst wenn man die additiven Effekte der unterschiedlichen Genregionen berücksichtigt (eine Person kann mehrere Genmutationen aufweisen), hängt das Krankheitsrisiko letztlich von der Gen-Umwelt-Interaktion ab, nicht von der Genausprägung alleine [17; 18; 19; 26]. Studien mit getrennt lebenden Zwillingen oder isoliert lebenden Bevölkerungen wie die Pima-Indianer lassen vermuten, dass diese Gen-Umwelt-Interaktion etwa zwei Drittel der Veränderung von BMI- und Stoffwechselrisikofaktoren ausmacht [26; 27; 28].

Epidemiologische, klinische und experimentelle Studien geben vermehrt Hinweise darauf, dass Expositionen, insbesondere die Ernährung während der pränatalen und frühkindlichen Entwicklung, einen entscheidenden, dauerhaften, geradezu prägenden Einfluss auf die spätere Entstehung von Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2 und hiermit assoziierte kardiovaskuläre Erkrankungen haben können[30].

Wie gesund oder krank wir im Alter sind, wird allem Anschein nach zum größeren Teil durch die Stoffwechselwege bestimmt, die bereits früh im Leben angelegt und die stark von Umweltfaktoren beeinflusst werden[31; 32; 33; 34]. Beispielsweise können eine unausgewogene Ernährung oder Schadstoffe zu Veränderungen der frühen Entwicklung in der embryonalen und fötalen Phase und in den ersten Lebensjahren führen. Diese Veränderungen können sogar über Generationen weitergegeben werden.

Das heißt, dass Umweltfaktoren in frühen Lebensphasen mit beeinflussen, wie hoch das Risiko für eine genetisch veranlagte Krankheit ist. Von allen Umweltfaktoren ist am besten die Ernährung als Modulator der Gesundheit im späteren Leben dokumentiert[35].

Quellen

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