Für die Gesundheit sind äußere Faktoren entscheidender als Gene, und einer davon ist die Ernährung. Denn die Ernährungsgewohnheiten der Mutter können Folgen für ihren Sprössling haben und das Risiko für späteres Übergewicht, Diabetes und andere Erkrankungen erhöhen.[1]

Epigenetische Veränderungen werden für diese Phänomene verantwortlich gemacht. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Methylierungen (reversible chemische Veränderungen) der DNA und Modifizierungen der Histone, die verändern, wie unser Erbgut abgelesen wird und sich so beispielsweise auf Stoffwechselprozesse auswirken können.

Diese spezifischen Stoffwechselprozesse werden schon früh im Leben geprägt. Der Körper beginnt zu lernen, wie er Nahrungsmittel verstoffwechselt, von der ersten Fütterung an über die Beikost, Kleinkindernährung bis ins Erwachsenenalter. Die Struktur der Nährstoffe, die der Körper erhält – beispielsweise die Lipidstruktur in Säuglingsnahrung – kann dabei von hoher Bedeutung sein, weil sie den Körper prägt, wie er diese Nährstoffe für Wachstum und Entwicklung verdaut, absorbiert und nutzt.

Lesen Sie hier, welche Ernährungstipps Sie den Schwangeren und Müttern mitgeben können, um in den ersten 1.000 Tagen – die Zeitspanne von der Befruchtung bis zum Ende des 2. Lebensjahres – einen wichtigen Beitrag für die langfristige Gesundheit zu legen.

Gesundheit ist wesentlich weniger durch Gene bestimmt als bisher vermutet

Damit ein Kind sich angemessen entwickeln kann, sollten Eltern bereits vor der Zeugung, aber insbesondere während Schwangerschaft, Stillzeit und den ersten Jahren nach der Geburt jede Chance nutzen, auf eine optimale Ernährung zu achten. Man spricht auch von dem „Zeitfenster der größtmöglichen Chancen“ (engl. „window of opportunity“).

Die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes, von der Empfängnis bis zum Alter von zwei Jahren, gelten demnach als wichtigste Phase, in der viele epigenetische Faktoren die Chance auf spätere Gesundheit erhöhen können[2; 3]. In diesem „Zeitfenster der größtmöglichen Chancen“ (s. Abb. 1) beeinflusst die Ernährung von Mutter und Kind wesentlich die Entwicklung der körperlichen Organe, ihre Funktionsweise und den Stoffwechsel.

Abbildung 1: Das „Zeitfenster der größtmöglichen Chancen“ für eine frühkindliche Prägung: die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes, von der Konzeption bis zu einem Alter von zwei Jahren. Dieses Fenster lässt sich auch weiter fassen, von einer vorkonzeptionellen Phase bis hin zu einem Alter von bis zu sechs Jahren.

Dieses Zeitfenster lässt sich noch weiter fassen: als Zeitraum bereits vor der Konzeption bis zu einem Alter von bis zu sechs Jahren. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse legen nahe, dass in dieser Zeit die Lebensweise sowie der Ernährungs- und der Gesundheitszustand der Eltern die Qualität des Spermas und der Eizelle ebenso beeinflussen wie die embryonale Entwicklung und die Placenta.

Da sich der Bedarf eines Säuglings im ersten Lebensjahr sowie im Verlauf des Kleinkindalters permanent ändert, sollte eine optimale Ernährung immer der entsprechenden Lebensphase des Kindes angepasst sein. Ein suboptimaler Ernährungsstatus der Mutter, präkonzeptionell und während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie eine suboptimale Ernährung des Säuglings und Kleinkinds, kann, je nach Schweregrad, einen signifikanten und langfristigen Effekt auf die Entwicklung des Immunsystems, des Gehirns sowie der Stoffwechselsituation haben.

Pränatale Prägung von Stoffwechselprozessen

Die Entwicklung des Kindes in utero wird neben anderen – beispielsweise genetischen Faktoren – entscheidend vom Ernährungszustand der Schwangeren mitbestimmt[4].

Historischer Beleg für die Auswirkung eines frühen Nahrungsmangels auf die Gesundheit im Erwachsenenalter bietet die Untersuchung des „holländischen Hungerwinters“ 1944/45. Während des „holländischen Hungerwinters“ zeigten die Kinder von Müttern, die sich während der deutschen Belagerung im ersten oder zweiten Trimester ihrer Schwangerschaft befanden und somit in der frühen Schwangerschaft extrem unterernährt waren, im jungen Erwachsenenalter eine erhöhte Adipositasprävalenz[5].

In den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren kam es in den westlichen Industriestaaten zu einem, im Verlauf der Evolution des Menschen, einzigartigen Anstieg des mittleren Geburtsgewichts. Beispielsweise ist es in den neuen Bundesländern pro Dekade zu einem Anstieg der mittleren Geburtsgewichte von bis zu 126g gekommen[6]. Hierfür scheint weniger ein beschleunigtes Wachstum als vielmehr eine vermehrte Fettakkumulation beim Neugeborenen verantwortlich zu sein[6; 7; 8].

Da es in einem so kurzen Zeitraum nicht zu einer wesentlichen Veränderung des Genpools in der Bevölkerung gekommen sein kann, sodass genetische Faktoren den Anstieg des Geburtsgewichts erklären könnten, müssen nicht genetische Ursachen wie das Intrauterinmilieu verantwortlich sein.

Dies zeigt eindrucksvoll eine britische Studie mit Kindern, die durch „Leihmütter“ ausgetragen wurden[9]. Hier zeigte sich, dass das Geburtsgewicht des Kindes stärker mit dem Body-Mass-Index der Leihmutter korrelierte als mit dem Gewicht der biologischen Mutter (s. Abb. 2).

Abbildung 2: Korrelation zwischen Körpergewicht der „Leihmütter“ und dem Geburtsgewicht der Kinder (r=0,35; p<0,003). Die Korrelation zwischen dem Körpergewicht der biologischen Mütter und dem Geburtsgewicht der Kinder war nicht signifikant (r=0,15; p<0,12) [9].

 

Als Ursache kommt hierfür der Ernährungszustand der Schwangeren in Frage (s. Abb. 3). So ist das Makrosomierisiko, also das Risiko für ein Geburtsgewicht über 4.000 bis 4.500g, bei Kindern adipöser Frauen mehr als verdoppelt, bei Kindern massiv adipöser Frauen sogar mehr als verdreifacht[10]. Je mehr eine übergewichtige Frau in der Schwangerschaft zunimmt, desto höher ist der prozentuale Körperfettanteil ihres Neugeborenen[11], was auch langfristig zu Übergewicht des Kindes führen kann[12; 13].

Abbildung 3: Prä- und postnatale Folgen einer erhöhten Energiezufuhr der Schwangeren für sich selbst und ihr Kind; nach: [4]

Hauptgrund für die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft und dem damit verbundenen Risiko für ein Übergewicht bereits beim Neugeborenen dürfte die Energiezufuhr der Mutter während der Schwangerschaft sein. Dagegen hat eine zu geringe Energiezufuhr der Schwangeren einen vergleichsweise geringen Einfluss auf das Geburtsgewicht[14].

Eine abwechslungsreiche und gesunde Ernährung wirkt sich nicht nur positiv auf die Entwicklung des Ungeborenen aus. Schon im Mutterleib beginnt die Prägung des Geschmacksinns eines Kindes, gesteuert durch die Ernährung der Mutter. Je vielfältiger sich die Mutter während der Schwangerschaft ernährt, desto offener sind die Kinder später gegenüber neuen Lebensmitteln und ernähren sich auch tendenziell gesünder.

Pränatale Prägung ist möglicherweise reversibel

Neu ist dagegen eine Studie, die nahelegt, dass diese frühe Programmierung durch die Ernährungsgewohnheiten nach der Schwangerschaft umgeschrieben werden kann – zumindest im Tiermodell.[15] Forscher um Laura Moody von der University of Illinois konnten bei Ratten zeigen, dass eine fettreiche Ernährung (45 Prozent der Energiezufuhr) während der Tragzeit zu erheblichen epigentischen Veränderungen im Genom der Leberzellen des Nachwuchses führte. Stellte man deren Ernährung nach der Entwöhnung von den Muttertieren auf eine fettarme Kost um, änderte sich das Genexpressionsprofil ihrer Lebern wieder drastisch: Gene, die mit dem Fett- und Adipokinstoffwechsel sowie mit bei Diabetes aktiven Signalwegen assoziiert sind, wurden herabreguliert. Die Ratten programmierten ihr Genom quasi um.

Moody und Kollegen schlussfolgern, dass das durch die Eltern erworbene Methylierungsprofil dynamisch und veränderbar ist. Das Leber-Epigenom ist also kein unabwendbarer Fluch der Eltern – zumindest bei Ratten und ihren Nachkommen. Inwiefern sich diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist indessen unklar. Es lässt sich aber spekulieren, dass sich Ernährungsfehler während der Schwangerschaft wohlmöglich auch beim Menschen korrigieren lassen könnten, wenn mit Einführung der Beikost auf eine ausgewogene Ernährung geachtet wird. Wie lange diese „Reprogrammierung“ möglich ist, ist Gegenstand weiterer Forschung.

Prägung durch Stillen

Nicht nur die pränatale Energiezufuhr hat langfristige Folgen für die Gesundheit des Kindes und späteren Erwachsenen, sondern auch die Ernährung nach der Geburt.

Wichtigster positiver „Programmierer“ in der frühkindlichen Ernährung ist die Muttermilch. Stillen ist ein wichtiger Schutzfaktor, beispielsweise zur Reduktion des Adipositas- und Allergierisikos in einer späteren Lebensphase. Auch die Prägung der Gehirnentwicklung wird durch Stillen beeinflusst. Die Unterstützung der Gehirnentwicklung im frühen Lebensalter ist besonders wichtig, um eine optimale psychomotorische und kognitive Funktion im späteren Lebensalter zu sichern.

Stillen reduziert nachweislich das Risiko für spätere Erkrankungen

So gilt ausschließliches Stillen in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten tatsächlich als optimal, Beikost sollte frühestens mit Beginn des 5. und spätestens mit Beginn des 7. Lebensmonats eingeführt werden. Denn „eine verzögerte Einführung von Beikost zur Vermeidung von Allergien wird nicht empfohlen“, schreiben die Autoren der Übersichtsarbeit „Stillen und Beikost“, die am 24. Juni im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist.[16]

Die grundsätzlich positiven Effekte des Stillens – auch weit über den 7. Lebensmonat hinaus – konnten in jüngster Zeit mehrfach bestätigt werden. Denn Stillen reduziert das Risiko für spätere Erkrankungen wie Asthma Bronchiale (-27 bis -30 Prozent)[16; 17], atopische Dermatitis (-32 Prozent)[16; 18] und Adipositas (-12 Prozent)[16; 19]. Eine Auswahl weiterer positiver Effekte des Stillens: leicht besseres Abschneiden in IQ-Tests als Jugendliche und Erwachsene (3,8 Punkte bei 30-Jährigen)[20], ein geringeres Risiko für den plötzlichen Kindstod, für Typ 1- und Typ 2-Diabetes und für Gastroenteritis[21].

Die Proteinaufnahme in den ersten Lebensmonaten könnte eine Art metabolische Programmierung bewirken

Weitere gesicherte Empfehlungen: Handelsübliche Kuhmilch sollte im ersten Lebensjahr nicht getrunken werden. Die Beikost sollte Eisen aus Fleisch sowie ein- bis zweimal wöchentlich Fisch enthalten.[16] Ein Überblick mit aktuellen Empfehlungen für die Ernährung Schwangerer und Neugeborener, aufbereitet für Ärzte und Fachpersonal, findet sich unter http://www.gesund-ins-leben.de/fuer-fachkraefte/handlungsempfehlungen/.

Besonders in den Fokus gerückt ist in jüngster Zeit die sogenannte „Early Protein Hypothesis“. Sie besagt, dass die Menge der Proteinaufnahme in den ersten Lebensmonaten eine Art metabolische Programmierung bewirkt.[22] Tatsächlich gilt als einer der wichtigsten prognostischen Faktoren für Adipositas im Jugend- und Erwachsenenalter eine frühe überdurchschnittliche Gewichtszunahme.[23] Wie sich die verhindern lässt? „Eine Verringerung der Proteinzufuhr auch bei Muttermilchersatznahrung kann das Risiko verringern, später übergewichtig zu werden“, schreiben die Autoren eines Reviews zum Thema, das im Dezember 2015 im Fachmagazin Nutrition and Metabolic Insights veröffentlicht wurde.[22] Die „Frühkindliche Prägung“ ist also durchaus real und vieles deutet darauf hin, dass sie in manchen Aspekten das ganze Leben beeinflusst – Panik und übereilter Aktionismus sind aber fehl am Platz, Handlungsempfehlungen sollten sich an der Studienlage orientieren.

Quellen

  1. Langley-Evans, SC. Nutrition in early life and the programming of adult disease: a review. J Hum Nutr Diet. 2015;28 Suppl 1:1-14.
  2. Godfrey, K., Lillycrop, K., Burdge, G., Gluckman, P., Hanson, M. Epigenetic mechanisms and the mismatch concept of the developmental origins of health and disease. Pediatr Res 2007;61:5R-10R
  3. Milagro, F., Campión, J., Cordero, P., Goyenechea, E., Gómez-Uriz, A., Abete, I., Zulet, M., Martínez, J. A dual epigenomic approach for the search of obesity biomarkers: DNA methylation in relation to diet-induced weight loss. FASEB J 2011;25:1378-89
  4. Plagemann A, Dudenhausen JW. Ernährung und frühe kindliche Prägung. In:Ernährungsbericht 2008. DGE . Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. 2008 Bonn, 271-300
  5. Ravelli, G., Stein, Z., Susser, M. Obesity in young men after famine exposure in utero and early infancy. N Engl J Med 1976;295:349-53
  6. Hesse, V., Voigt, M., Sälzler, A., Steinberg, S., Friese, K., Keller, E., Gausche, R., Eisele, R. Alterations in height, weight, and body mass index of newborns, children, and young adults in eastern Germany after German reunification. J Pediatr 2003;142:259-62
  7. Bergmann, R., Richter, R., Bergmann, K., Plagemann, A., Brauer, M., Dudenhausen, J. Secular trends in neonatal macrosomia in Berlin: influences of potential determinants.Paediatr Perinat Epidemiol 2003;17:244-9
  8. Harder, T., Plagemann, A. The intrauterine environmental adipogenesis. J Pediatr2004;144:551
  9. Brooks, A., Johnson, M., Steer, P., Pawson, M., Abdalla, H. Birth weight: nature or nurture.Early Hum Dev 1995;42:29-35
  10. Cedergren, M. Maternal morbid obesity and the risk of adverse pregnancy outcome. Obstet Gynecol 2004;103:219-24
  11. Sewell, M., Huston-Presley, L., Super, D., Catalano, P. Increased neonatal fat mass, not lean body mass, is associated with maternal obesity. Am J Obstet Gynecol 2006;195:1100-3
  12. Oken, E., Taveras, E., Kleinman, K., Rich-Edwards, J., Gillman, M. Gestational weight gain and child adiposity at age 3 years. Am J Obstet Gynecol 2007;196:322.e1-8
  13. van Dam, R., Seidell, J. Carbohydrate intake and obesity. Eur J Clin Nutr 2007;61:S75-99
  14. Bergmann, K., Bergmann, R., Ellert, U., Dudenhausen, J. Perinatale Einflussfaktoren auf die spätere Gesundheit. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz2007;50:670-6
  15. Moody, L., Chen, H., Pan YX. Postnatal diet remodels hepatic DNA methylation in metabolic pathways established by a maternal high-fat diet. Epigenomics. 2017;9(11):1387-1402.
  16. Prell C, Koletzko B (2016) Stillen und Beikost. Empfehlungen für die Säuglingsernährung. Dtsch Arztebl 113(25).
  17. Gdalevich M, Mimouni D, Mimouni M (2001) Breast-feeding and the risk of bronchial asthma in childhood: A systematic review with meta-analysis of prospective studies. J Pediatr 139:261-6.
  18. Gdalevich M, et al. (2001) Breast-feeding and the onset of atopic dermatitis in childhood: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. J Am Acad Dermatol 45(4):520-7.
  19. Horta BL, Victora CG. World Health Organization (2013) Long-term effects of breastfeeding. A systematic review.
  20. Victora CG, et al. (2015) Association between breastfeeding and intelligence, educational attainment, and income at 30 years of age: a prospective birth cohort study from Brazil. Lancet 3:e199-205.
  21. Ip S, et al. (2009) A Summary of the Agency for Healthcare Research and Quality’s Evidence Report on Breastfeeding in Developed Countries. Breastfeed Med 4(s1):17-30.
  22. Luque V, et al. (2016) Early Programming by Protein Intake: The Effect of Protein on Adiposity Development and the Growth and Functionality of Vital Organs. Nutr Metab Insights 8(Suppl 1):49-56.
  23. Weng SF, et al. (2012) Systematic review and meta-analyses of risk factors for childhood overweight identifiable during infancy. Arch Dis Child 97(12):1019-26.