Zur Stillförderung gehört, das Risiko einer Entscheidung zum Zufüttern zu verringern. Denn Zufüttern in den ersten 72 Lebensstunden ist bei gesunden Neugeborenen normalerweise nicht erforderlich. Laut der deutschen S2-Leitlinie „Betreuung von gesunden reifen Neugeborenen in der Geburtsklinik“ sollte es unter anderem nur dann erwogen werden, wenn der postnatale Gewichtsverlust über 10 Prozent beträgt. Doch wie hängt dieser mit der intravenösen Flüssigkeitszufuhr der Mutter während der Geburt zusammen? Dieser Frage ging die Hebamme Christina Ruthofer in ihrer Bachelor-Arbeit an der Fachhochschule Salzburg nach.
Frau Ruthofer, warum erhalten Frauen während der Geburt häufig eine intravenöse Flüssigkeitszufuhr?
Der Geburtsvorgang ist in der Regel und im wahrsten Sinne des Wortes schweißtreibend. Das kann bei längeren Geburten oder bei Komplikationen eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr notwendig machen. In manchen Situationen während der Geburt wird Flüssigkeit auch intravenös verabreicht, zum Beispiel vor einem ungeplanten Kaiserschnitt, um das Risiko der Aspiration zu senken.
Wie wirkt sich das auf die nachgeburtliche Gewichtsentwicklung des Neugeborenen aus?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir am Wiener St. Josef Krankenhaus eine Vergleichsgruppenanalyse mit gesunden, gestillten Neugeborenen durchgeführt. Dabei hatten wir zwei Gruppen: eine mit 19 Säuglingen, deren Mütter während der Geburt weniger als 1.500ml Flüssigkeit intravenös erhielten (Gruppe A: <1.500ml), und eine Gruppe mit 20 Neugeborenen mit Müttern über 1.500ml intravenöser Flüssigkeitszufuhr (Gruppe B: >1.500ml).
Was kam dabei heraus?
Tendenziell nahmen die Kinder mit höherer Flüssigkeitssubstitution der Mütter innerhalb der ersten 72 Stunden mehr ab als die der Mütter mit niedrigerer Flüssigkeitssubstitution. Statistisch signifikant war dieser Unterschied in den ersten sechs Stunden: Kinder der Gruppe A (<1.500ml) verloren nur 0,9 Prozent ihres Geburtsgewichts, dagegen die Kinder der Gruppe B (>1.500ml) 1,48%. Die 10-Prozent-Gewichtsabnahmegrenze wurde bei drei Kindern in Gruppe B (>1.500ml) erreicht. Hätte man das 6-Stunden-Gewicht als Ausgangswert für die Gewichtsabnahme herangezogen, so hätte letztlich nur ein Kind die 10-Prozent-Grenze erreicht.
Wie erklären Sie sich diese Ergebnisse?
Wahrscheinlich diffundieren Infusionslösungen über das Porensystem der Plazenta zum Kind. Gleichzeitig führt das während der Geburt im Fetus physiologisch ausgeschüttete Vasopressin zu vermehrter Wassereinlagerung. Der rapide Abfall des Hormons einige Stunden nach der Geburt regt dann die Harnausscheidung beim Neugeborenen an. Weiterhin weiß man, dass Vasopressin besonders in stressvollen Situationen vermehrt ausgeschüttet wird. Dies war eindeutig in unserer Gruppe B (>1.500ml) der Fall: Hier war die durchschnittliche Geburtsdauer länger, der Anteil an vaginal operativen Geburten, Kaiserschnitten, Geburten mit Syntocinon-Infusionen in der Austrittsphase sowie die PDA-Rate deutlich höher. Alles Faktoren, die den Stoffwechsel erhöhen, eine vermehrte Flüssigkeitssubstitution intrapartal notwendig machen, aber auch zu vermehrter Vasopressin-Ausschüttung führen.
Welche Bedeutung haben Ihre Ergebnisse für die Praxis?
Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass die durchaus gängige Praxis der intravenösen Flüssigkeitszufuhr der Mutter während der Geburt im Zusammenhang mit dem nachgeburtlichen Gewichtsverlust steht du somit einen Einfluss auf die Entscheidung des Zufütterns hat. Damit sind die Ergebnisse – insbesondere das Heranziehen des 6-Stunden-Gewichts als Ausgangsgewicht für die 10-Prozent-Gewichtsabnahmegrenze – ein weiterer Schritt zur Förderung des Stillens, da den betroffenen Neugeborenen durch diese Wasserhaushaltskorrektur möglicherweise das Zufüttern erspart werden kann.