Verdauungsbeschwerden – schmerzhaft, aber meist harmlos

Zu den häufigen Verdauungsbeschwerden im Säuglingsalter gehören Koliken, Verstopfung, Reflux und andere Symptome, die Probleme im Verdauungstrakt, Blähungen, Schreien und Bauchkrämpfe auslösen können.[1] Die Häufigkeit für Koliken im Säuglingsalter lag in prospektiven Studien beispielsweise bei bis zu 28 Prozent.[2] Symptome dieser Art treten häufiger bei flaschenernährten als bei gestillten Säuglingen auf.[3] In den meisten Fällen verlaufen diese Symptome unproblematisch und benötigen keine intensive medizinische Behandlung.

Verdauungssystem noch nicht vollständig entwickelt

Einer der möglichen Gründe für gastrointestinale Beschwerden bei Neugeborenen ist, dass sie sich in einer Phase starken Wachstums und schneller Entwicklung befinden und dass ihr Verdauungstrakt nach der Geburt schnell die versorgende Rolle der Plazenta übernehmen muss. Weiterhin haben Neugeborene einen wesentlich kleineren Magen und Dünndarm als ältere Kinder und Erwachsene.[4; 5]

All diese Faktoren beeinflussen wesentliche Körperfunktionen des Säuglings, einschließlich seiner Fähigkeit Nährstoffe zu verdauen, zu absorbieren und zu verstoffwechseln.

Ein anderer Grund für häufige Verdauungsbeschwerden bei Säuglingen ist das noch nicht voll entwickelte Verdauungssystem. Dies braucht eine Weile, bis es seine volle Funktionalität erreicht. Beispielsweise sezernieren junge Säuglinge nicht ausreichend fettspaltende Enzyme, was ihre Kapazität für die Fettverdauung limitiert.[6] Viele Säuglinge produzieren anfangs nur kleine Mengen an eiweißspaltendem Pepsin, was wiederum die Eiweißverdauung begrenzt.[7] Etwa 25 Prozent aller Säuglinge zeigen eine milde Form von Laktosemalabsorbtion, was dazu führt, dass Laktose unverdaut in den Dickdarm gelangt und dort durch die bakterielle Verstoffwechselung zu Blähungen und Bauchkrämpfen führt.[8] In seltenen Fällen kann bei flaschenernährten Kindern auch eine Kuhmilcheiweißunverträglichkeit Ursache der Verdauungsbeschwerden sein.[9]

Koliken – schmerzhafte Kontraktionen der Verdauungsmuskulatur

Koliken entstehen durch krampfhafte Kontraktionen der Verdauungsmuskulatur. Die starken krampf- bzw. wehenartigen Schmerzen treten bewegungsunabhängig auch bei ansonsten gesunden und normal gedeihenden Säuglingen auf und sind meist mit starkem Schreien verbunden. In den fünfziger Jahren wurde von dem amerikanischen Kinderarzt Morris Wessel die sogenannte Dreierregel als Definition der Dreimonatskolik entwickelt: Schreien mehr als 3 Stunden am Tag, mehr als 3 Tage pro Woche, länger als 3 Wochen.[10] Auch heute findet diese „Regel“ bei vielen Kinderärzten noch Anwendung.

Bei gestillten Säuglingen mit Koliken wird oft geraten, dass die stillenden Mütter blähende Nahrungsmittel in ihrer Ernährung vermeiden sollten. Als wichtig werden auch eine eingehende Beratung und Beruhigung der Eltern sowie viele andere Empfehlungen wie Tragen und Schaukeln des Kindes und Singen angesehen. Einige Kinderärzte empfehlen auch, die Menge an Außenreizen für das Kind zu vermindern. Zur pharmakologischen Behandlung gehören krampflösende Medikamente, wobei diese nur geringen bis gar keinen Effekt in klinischen Studien gezeigt haben, in seltenen Fällen aber sogar gegenteilige Effekte. Obwohl einige Interventionen bei Koliken bekannt sind, haben bisher nur wenige ihren Effekt in klinischen Studien nachweisen können.[11]

Reflux und Spucken – vor allem im ersten Lebensjahr ein Problem

Auch Reflux und Spucken sind bei Säuglingen nichts Ungewöhnliches und hängen mit dem noch nicht vollentwickelten Schließmuskel der Speiseröhre zusammen.[12]

Der Ösophagussphinkter, der normalerweise den Magen wie ein Ventil verschließt und dafür sorgt, dass der Mageninhalt nicht in die Speiseröhre zurückfließt, entwickelt sich erst im Laufe des ersten Lebensjahres soweit, dass Aufstoßen und Spucken langsam abnehmen.[13] Im vierten Lebensmonat sind so noch 60 Prozent der Säuglinge betroffen, nach dem ersten Lebensjahr sind es nur noch 5 Prozent.[14]

Das Problem löst sich in den meisten Fällen also ganz von selbst. Auch wenn Aufstoßen und Spucken viele Eltern zum Kinderarzt treiben: Eine ernsthafte Erkrankung liegt meist nicht vor, bei unkompliziertem Reflux ist eine Therapie nicht notwendig. Wird der Reflux zur echten Belastung, können einfache Maßnahmen dazu beitragen, die Symptome zu lindern.[14] Dazu gehört etwa das Eindicken der Nahrung oder die Lagerung auf der linken Körperseite. Hypoallergene Nahrung kann bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, die z. T. ganz ähnliche Symptome hervorrufen kann, ebenfalls dazu führen, dass die Symptome abklingen.

Verstopfung – seltener bei gestillten Säuglingen

Wenn das Kind älter wird, finden physiologische Veränderungen im Magen-Darm-Trakt statt, die zu einer Abnahme der Stuhlfrequenz führen (s. Abb. 1). In den ersten drei Lebensmonaten haben gestillte Säuglinge eine durchschnittliche Stuhlfrequenz von 2,9 Stühlen pro Tag, mit einer weiten Spanne von fünf bis 40 pro Woche. Formulaernährte Säuglinge setzen durchschnittlich etwas weniger Stühle ab als gestillte Kinder – circa zwei pro Tag, mit einer Spanne von fünf bis 28 pro Woche. Die Anzahl der Stühle nimmt dann vom zweiten Lebenshalbjahr bis zum Alter von drei Jahren von durchschnittlich 1,8 bis 1 pro Tag weiter ab.[15]

Gestillte Säuglinge zeigen aufgrund kürzerer Passagezeiten des Magen-Darm-Trakts meistens seltener Verstopfung.

Abbildung 1: Normale Häufigkeit der Stuhlentleerung bei Säuglingen[11]

Quellen

  1. Hyman P, et al. Childhood functional gastrointestinal disorders: neonate/toddler. Gastroenterology 2006;130:1519-26
  2. Lucassen PL, et al. Systematic review of the occurrence of infantile colic in the community. Arch Dis Child 2001; 84:398-403
  3. Lucas A, St James-Roberts, I. Crying, fussing and colic behaviour in breast- and bottle-fed infants. Early Hum Dev 1998;53:9-18
  4. Worthington-Roberts B, RodwellWilliams S, Nutrition throughout the lifecycle. In: McGraw-Hill Higher Education USA 2000
  5. Lebenthal E, Concepts in gastrointestinal development. In: Human gastrointestinal development. Lebenthal E. Raven Press 1989 New York, 3-18
  6. Manson W, Weaver L, Fat digestion in the neonate. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed1997;76:F206-11
  7. Mouterde O, et al. Gastric secretion in infants. Application to the study of sudden infant death syndrome and apparently life-threatening events. Biol Neonate 1992;62:15-22
  8. Kleinman RE, In: Pediatric Nutrition Handbook. Kleinman RE. American Academy of Pediatrics 2009 Elk Grove Village
  9. Moore D, Robb T, Davidson G, Breath hydrogen response to milk containing lactose in colicky and noncolicky infants. J Pediatr 1988;113:979-84
  10. Wessel M, et al. Paroxysmal fussing in infancy, sometimes called colic. Pediatrics 1954;14:421-35
  11. Cohen-Silver J, Ratnapalan S, Management of infantile colic: a review. Clin Pediatr (Phila)2009;48:14-7
  12. Keady S, Update on drugs for gastro-oesophageal reflux disease. Arch Dis Child Educ Pract Ed 2007;92:ep114–ep118
  13. Rosen R, et al. Pediatric Gastooesophageal Reflux Clinical Practie Guidelines: Joint Recommendations of the North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (NASPGHAN) and the European Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrtion (ESPGHAN). JPGN 2018; 66 (3): 516-54.
  14. Hosie S, Gastro-ösophagealer Reflux im Kindesalter. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. März 2015.
  15. Biggs W, Dery W, Evaluation and treatment of constipation in infants and children. Am Fam Physician 2006;73:469-7